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Wenn Handwerk und Kunst verschmelzen

Glasfusing beginnt im Kopf, wird zum kreativen Handwerk und im Brennofen zum finalen Kunstwerk. Bei dieser Art der Glasgestaltung werden verschiedene Glaskomponenten miteinander verschmolzen und geformt.

Jede Inspiration führt zuerst zu einer innovativen Auseinandersetzung zwischen Vorstellung und Lösungsansatz. Neugier, Wissensdurst und Ehrgeiz münden in spannenden neuen Resultaten. Ihre langjährige Erfahrung hilft Andrea Kummli beim Experimentieren und beim Kombinieren.

Dazu kommen technische Berechnungen von Brennkurven und das Nutzen von Wissen aus Chemie, Physik, Mathematik und Geometrie.

Im Brennofen findet bei ungefähr 815° Celsius durch die sorgfältige Planung der einzelnen Brennschritte die gewünschte Metamorphose statt. Je nach Objekt sind verschiedene Brennvorgänge notwendig, um die vorgesehene Form zu erhalten. Anschliessend folgt die Behandlung der Glaskanten mit Kaltbearbeitung an der Schleifmaschine und von Hand.

Zur Veredelung lassen sich nach dem Abkühlen durch Sandstrahlen Vertiefungen in die Oberfläche einarbeiten, Oberflächen aufrauen, ätzen, schleifen, gravieren oder mit Feuerpolitur besänftigen. Damit bestimmen sie den Charakter des Glases. Glasfusing ist immer ein langer, intensiver Prozess mit kunstvollen Resultaten.

«Wenn ein Kunstwerk zur Perfektion reift, verleihe ich ihm im Finale meine persönliche Note»

Andrea Kummli

Traditionsreiche Kunst

Glas ist einer der interessantesten Werkstoffe überhaupt. Seit der Antike sind Künstler, Handwerker und Wissenschaftler intensiv dabei, dem Material ungeahnte Möglichkeiten, Effekte und Wirkungen abzugewinnen.

Jeder Stil, jede Kultur, jede künstlerische Persönlichkeit entwickelte dabei Methoden und Eigenarten, die jedem einzelnen Stück eine unverwechselbare Note verleihen.

Die Herstellung eines so geachteten Werkstoffes lag in den Händen von Kunsthandwerkern, die grosse gesellschaftliche Wertschätzung genossen und ihre geheimnisvolle Arbeit im Verborgenen durchführten. Die ersten Aufzeichnungen über Formen zur Glasherstellung sind verschlüsselt, damit nicht jeder danach arbeiten konnte.

Seit der Antike kursieren verschiedene Legenden, die von der Erfindung des Glases erzählen. Die bekannteste Version, die jahrhundertelang als zuverlässig galt, ist die Aufzeichnung von Plinius dem Älteren (23–79 n. Chr.), die in seiner Naturkunde zu finden ist.

Demnach wurde die Herstellung von Glas an der Mittelmeerküste entdeckt. Plinius schreibt: «Es geht die Sage, ein Schiff der Natronhändler sei hier gelandet. Diese hätten sich, um ihre Mahlzeit zu zubereiten, an der Küste verteilt. Da sie aber keine Steine fanden, um ihre Kessel daraufzustellen, hätten sie aus dem Schiff Stücke von Natron geholt und diese unterlegt. Als sie erhitzt wurden und sich dabei mit dem Ufersand vermischten, seien durchsichtige Bäche einer neuen Flüssigkeit davongeflossen. Dies sei der Ursprung des Glases gewesen.»

Diese Legende ist insofern schlüssig, als sie alle Rohstoffe aufzählt, aus denen Glas besteht.

In der Welt der Antike verarbeitete man Glas einerseits zu Schmuckstücken, anderseits aber auch zum Aufbewahren, Servieren oder Einlagern von festen oder flüssigen Lebensmitteln, Arzneimittel, Salben oder Essenzen.

Geschätzt wurde dabei vor allem die einzigartigen Eigenschaften von Glas, dessen Glanz, Farbe, Sauberkeit, Dichtung sowie die Tatsache, dass Glas im Gegensatz zu Gefässen aus Metall oder gewissen Keramikstoffen geruchs- und geschmacksneutral ist. Daher waren die ersten Glasgefässe auch Flacons für teure Essenzen und Kosmetika. Man findet auch ausgewählte Stücke immer wieder als Grabbeilagen. Die Gefässe dienten aber auch dem Aufbewahren von medizinischen Ölen.

Glas, einst als Stoff zur Imitation von Edelsteinen oder Keramiken verwendet, war zu etwas vollkommen Neuem geworden. Es eröffnete präzise Beobachtungsmöglichkeiten, hielt die Kälte aus den guten Stuben fern – gleichzeitig ermöglichte es aber, nach draussen zu blicken. Es versetzte den Menschen in die Lage, winzigste Dinge ganz nah vor Augen auf völlig neue Art zu sehen.

Auf diese Weise ist unsere moderne Welt rund um den Werkstoff Glas entstanden, der zuerst für Trinkgefässe und Fenster benutzt wurde, dann für Laternen, Leuchttürme und Gewächshäuser, später für Kameras, Fernseher und schliesslich für viele alltägliche und selbstverständlich gewordene Gebrauchsgegenstände.

Über eine andere Kette von Ereignissen revolutionierte der Stoff das Gesundheitswesen. Mikroskope ermöglichten die Entdeckung von Bakterien. Dank der damit verbundenen Infektionslehre konnten viele bakteriell übertragbare Krankheiten bekämpft werden.

Buntes Glas verstärkte auch die Faszination und das Geheimnis des Lichts und somit auch den Wunsch, in das Gebiet der Optik vorzudringen.

Initiativen, wie zum Beispiel das Centro Studio Venedig, hatten es sich zum Ziel gesetzt, Raum für Experimente und Informationen über die Möglichkeiten von Glas als künstlerisches Medium zu bieten. Unterschiedliche Zentren dieser Art entstanden im letzten Drittel des 20. Jahrhundert in verschiedenen europäischen Ländern sowie auch in den Vereinigten Staaten. Das führte zur Verbreitung der Arbeitstechniken mit Glas bei einer wachsenden Zahl von Künstlerinnen und Künstlern.

Am Ende der 70er Jahre wurde bei Bullseye Glass in Portland, Oregon, USA das Walzen von Farbglas sehr populär. Die Anfänge waren geprägt von einer grossen Zahl an Experimenten. Diese führten zu Erkenntnissen, beispielsweise dass die Gläser untereinander kompatibel sein mussten, um Spannungen im Glas oder gar Risse zu vermeiden.

1983 erschien das erste Fusing-Buch für Glaskünstlerinnen und Glaskünstler auf dem Markt.

Ab dem Ende der 80er Jahre war es möglich, mit digitalisierten Brennöfen zu arbeiten. Dadurch liess sich das Verfahren um ein Vielfaches einfacher kontrollieren, was zu deutlich besseren Resultaten führte.

Bullseye Glass forscht ehrgeizig nach neuen Methoden und Verfahren. Mit grossem Erfolg unterhält das Unternehmen heute fünf Ressource Centers und diverse Ausbildungsstätten in den USA. Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt geniessen dort den Austausch unter Gleichgesinnten an Symposien zu vielen verschiedenen Themen rund um die Glaskunst.

Glas vom Barock bis zur Gegenwart
Autorinnen: Claudia Horbas und Dr. Renate Möller
ISBN: 978-3-422-06473-7

Eine Welt aus Glas – Kulturgeschichte einer Entdeckung
Autoren: Alan Macfarlane und Gerry Martin
ISBN: 978-3-548-60581-4

Heisses Glas
Autoren: Philippa Beveridge, Ignasi Doménech Vives und Eva Pascual i Miró
ISBN: 978-3-258-06773-5